Begriff „Pflegebedürftigkeit“ wird neu definiert

Ab dem Jahr 2017 wird der Begriff „Pflegebedürftigkeit“ völlig neu definiert. An die Stelle der seit Einführung der Sozialen Pflegeversicherung geltenden drei Pflegestufen treten ab Januar 2017 fünf Pflegegrade. Mit dieser Änderung erfährt die Soziale Pflegeversicherung die grundlegendste Reform in ihrer Geschichte. Künftig steht nicht mehr der Hilfebedarf im Vordergrund, sondern der Grad der Selbstständigkeit, wenn es um die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit geht.

Neues Begutachtungsinstrument

Grundsätzlich wird das Vorliegen einer Pflegebedürftigkeit durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) beurteilt. Bis Dezember 2016 wird der Hilfebedarf in Minuten festgehalten. Mit der Neudefinition des Pflegebedürftigkeitsbegriffs wird ab Januar 2017 beurteilt, was ein pflegebedürftiger Mensch noch selbst bewerkstelligen kann und wobei eine personelle Hilfe und Unterstützung im Alltag erforderlich ist.

Zur Beurteilung, ob ab dem Jahr 2017 Pflegebedürftigkeit im Sinne des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) vorliegt, wird anhand von sechs verschiedenen Bereichen ermittelt, ob die Selbstständigkeit auf Dauer – für voraussichtlich mindestens sechs Monate – eingeschränkt ist. Es handelt sich dabei um die folgenden Bereiche:

1. Mobilität

Bei der Mobilität geht es um die körperliche Beweglichkeit. In diesem Bereich wird beispielsweise beurteilt, wie selbstständig eine Person vom Bett oder einem Stuhl aufstehen, sich innerhalb der Wohnung bewegen oder Treppen steigen kann.

2. Kognitive und kommunikative Fähigkeiten

Im Bereich der kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten wird das Verstehen und Reden berücksichtigt. Hier wird beispielsweise beurteilt, wie eine Person örtlich und zeitlich orientiert ist, Risiken und Gefahren erkennen und sich Dinge merken kann.

3. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen

Bei den Verhaltensweisen und psychischen Problemlagen wird erfasst, inwieweit eine Person das Verhalten und Handeln steuern kann. Hier spielt beispielsweise eine Rolle, ob jemand gegenüber anderen Personen aggressiv ist, sich selbst schädigt oder nachts unruhig ist.

4. Selbstversorgung

Im Bereich „Selbstversorgung“ werden wichtige Handlungen im Alltag aufgegriffen. Hier wird beispielsweise beurteilt, wie selbstständig sich die Person anziehen, duschen oder kämmen oder die Toilette benutzen kann. Auch die Unterstützung beim Essen und Trinken wird hier beurteilt.

5. Umgang mit krankheits-/therapiebedingten Anforderungen und Belastungen

In diesem Bereich wird beurteilt, wie selbstständig eine Krankheit und eine damit verbundene ärztlich verordnete Therapie bewältigt werden kann. Hier spielen beispielsweise die Aspekte der selbstständigen Medikamenteneinnahme, eine nötige Wundversorgung oder ein Verbandswechsel oder eine Blutzuckermessung eine Rolle, wobei der hierfür erforderliche Unterstützungsbedarf erörtert wird.

6. Gestaltung des Alltagslebens und soziale Kontakte

Bei der „Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte“ wird beurteilt, wie der Tagesablauf von der Person selbstständig gestaltet werden kann oder ob Unterstützungsbedarf aufgrund von körperlichen oder geistigen Einschränkungen besteht. In diesem Bereich wird beispielsweise beurteilt, ob eine geeignete Beschäftigung ausgewählt und auch praktisch durchgeführt werden kann oder ob bestehende Kontakte im Umfeld aufrechterhalten werden können.

Im Rahmen der Begutachtung werden noch die Bereiche „außerhäusliche Aktivitäten“ und „Haushaltsführung“ erfasst und bewertet. Diese zwei Bereiche bleiben bei der Festlegung des Pflegegrades allerdings ohne Berücksichtigung; sie sind für andere Leistungsträger (z. B. Eingliederungshilfe), für die differenzierte Versorgungsplanung oder die Pflegeberatung von Bedeutung.

Die Gewichtung der Bereiche und die Bestimmung des Pflegegrades

Im Rahmen der Begutachtung wird in den einzelnen Bereichen erfasst, welche Selbstständigkeit in den oben genannten sechs Bereichen vorhanden ist bzw. welcher Unterstützungsbedarf besteht. Die sechs Bereiche werden unterschiedlich gewichtet.

Bereich Gewichtung
Bereich „Mobilität“ 10 Prozent
Bereich „Kognitive und kommunikative Fähigkeiten“ 15 Prozent
Bereich „Verhaltensweisen und psychische Problemlagen“
Bereich „Selbstversorgung“ 40 Prozent
Bereich „Umgang mit krankheits-/therapiebedingten Anforderungen und Belastungen“ 20 Prozent
Bereich „Gestaltung des Alltagslebens und soziale Kontakte“ 15 Prozent

Aufgrund dieser Gewichtung ergibt sich eine Gesamtbewertung, welche in einer Punktzahl ausgedrückt wird. Entsprechend der Punktzahl ergibt sich die Zuordnung zu einem der fünf Pflegegrade.

Pflegegrad Erforderliche Punkte Bedeutung
Pflegegrad 1 ab 12,5 bis unter 27 Gesamtpunkten Geringe Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten.
Pflegegrad 2 ab 27 bis unter 47,5 Gesamtpunkten Erhebliche Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten.
Pflegegrad 3

ab 47,5 bis unter 70 Gesamtpunkten

Schwere Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten.
Pflegegrad 4 ab 70 bis unter 90 Gesamtpunkten Schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten.
Pflegegrad 5 ab 90 bis 100 Gesamtpunkten Schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung.

Definition der Pflegebedürftigkeit ab 2017

Die Pflegebedürftigkeit ist ab dem Jahr 2017 wie folgt definiert (vgl. § 14 Abs. 1 SGB XI):

Pflegebedürftig im Sinne des SGB XI sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen.

Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbstständig kompensieren oder bewältigen können. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, und mit mindestens der in § 15 festgelegten Schwere bestehen.

Überführung von den bisherigen Pflegestufen

Die Überführung der Pflegestufen vom alten System auf die Pflegegrade im neuen System zum 01.01.2017 nehmen die Pflegekassen für die Leistungsbezieher von Amts wegen vor. Das heißt, es kommt zu einer automatischen Überführung die laufenden Leistungsfälle, ohne dass hierfür ein gesonderter Antrag gestellt werden muss.

Die Überführung der Pflegestufen in die Pflegegrade ist gesetzlich geregelt. Dabei gilt, dass jede Pflegestufe grundsätzlich in einen höheren Pflegegrad überführt wird (sogenannter einfacher Stufensprung). Ist die Alltagskompetenz des Versicherten eingeschränkt, wird um zwei Pflegegrade höher überführt (sogenannter doppelter Stufensprung). Damit kommt es zu folgender Überführung:

Bisherige Pflegestufe Pflegegrad ab Januar 2017
Pflegestufe unterhalb I mit eingeschränkter Alltagskompetenz Pflegegrad 2
Pflegestufe I ohne eingeschränkter Alltagskompetenz Pflegegrad 2
Pflegestufe I mit eingeschränkter Alltagskompetenz Pflegegrad 3
Pflegestufe II ohne eingeschränkter Alltagskompetenz Pflegegrad 3
Pflegestufe II mit eingeschränkter Alltagskompetenz Pflegegrad 4
Pflegestufe III ohne eingeschränkter Alltagskompetenz Pflegegrad 4
Pflegstufe III mit eingeschränkter Alltagskompetenz Pflegegrad 5
Pflegestufe III - Härtefall * Pflegegrad 5

* Gilt nur, wenn die Pflegesachleistung oder die vollstationäre Pflege beansprucht wurde.

Für die Überführung von der bisherigen Pflegestufe in den neuen Pflegegrad wird auch keine erneute Begutachtung durchgeführt. Das heißt, dass die Überführung anhand der bislang festgelegten Pflegestufe erfolgt und damit die betroffenen Versicherten (Versicherte, die am 31.12.2016 in eine Pflegestufe eingestuft sind) nicht erneut begutachtet werden müssen.

Die Überführung in das neue Recht ab 2017 erfolgt mit einem umfassenden Bestandsschutz. Dieser gewährleistet, dass kein Versicherter geringere oder schlechtere Leistungen erhält.