Einkommen wird bei Hinterbliebenenrenten angerechnet
Verstirbt ein naher Angehöriger, bedeutet dies für die Familienangehörigen einen sozialen Verlust. Ein Tod eines Angehörigen hat im Regelfall aber auch enorme finanzielle Auswirkungen, da das Einkommen des Verstorbenen wegfällt und auch kein Unterhalt mehr geleistet werden kann. Die finanziellen Verluste sind durch eine Reihe an Hinterbliebenenrenten abgesichert, welche von der Gesetzlichen Rentenversicherung geleistet werden können. Als Hinterbliebenenrenten kennt der Leistungskatalog der gesetzlichen Rentenkassen unter anderem die Witwen- und Witwerrente, die Waisenrente und die Erziehungsrente.
Mit den Hinterbliebenenrenten wird quasi das Einkommen des Verstorbenen – zumindest teilweise – ersetzt, weshalb die Renten eine Einkommensersatzfunktion erfüllen. Hat die bzw. der Hinterbliebene ein eigenes Einkommen, muss die Rente die vollständige Ersatzfunktion nicht mehr erfüllen. Daher wird ein eigenes Einkommen auf die Hinterbliebenenrente angerechnet, was eine Reduzierung oder sogar den vollständigen Entfall der Rentenzahlung zur Folge haben kann.
Wie es zur Einkommensanrechnung kam
Als in den 1970er Jahren die Frauen zunehmend eine Erwerbstätigkeit ausgeübt und damit auch ihre eigenen Rentenanwartschaften aufgebaut haben, wurde die Einkommensanrechnung bei den Hinterbliebenenrenten – die es damals noch nicht gab – thematisiert. Das Bundesverfassungsgericht forderte den Gesetzgeber schließlich im Jahr 1975 auf, bis spätestens Ende 1984 der geänderten Rolle der Frau Rechnung zu tragen. Die Reformierung der Hinterbliebenenrenten erfolgte schließlich mit dem Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetz (kurz: HEZG), welches am 01.01.1986 in Kraft trat.
Männer und Frauen hatten seit 1986 durch die Reformierung der Hinterbliebenenrenten unter gleichen Bedingungen einen Anspruch auf diese Renten. Zeitgleich wurde auch erstmals gesetzlich eine Einkommensanrechnung bei den Hinterbliebenenrenten eingeführt. Erstmals wurden Einkünfte, die einen bestimmten Freibetrag überschritten haben, angerechnet. Als zum 01.01.1992 das Sechste Buch Sozialgesetzbuch (kurz: SGB VI) in Kraft trat, mit dem das gesetzliche Rentenrecht eine neue gesetzliche Grundlage erhielt, wurde die Einkommensanrechnung auch auf die Waisenrenten für anspruchsberechtigte Versicherte ab 18 Jahren ausgedehnt.
So funktioniert die Einkommensanrechnung
Trifft ein Einkommen mit den folgenden Renten zusammen, kommt es zu einer Einkommensanrechnung:
- Witwenrente/Witwerrente
- Witwenrente/Witwerrente an vor dem 01.07.1977 geschiedene Ehegatten
- Witwenrenten/Witwerrente nach dem vorletzten Ehegatten
- Erziehungsrente
Bei den Halbwaisen- und Vollwaisenrenten ist die Einkommensanrechnung zum 30.06.2015 entfallen!
Dabei wird das Einkommen, welches einen gesetzlich definierten Freibetrag überschreitet, zu 40 Prozent auf die Rente angerechnet.
Ausgenommen von der Einkommensanrechnung sind die Witwen- und Witwerrenten während der sogenannten Sterbeüberbrückungszeit. Dies sind die ersten drei Monate nach dem Sterbemonat. In diesem „Sterbevierteljahr“ wird die Hinterbliebenenrente in voller Höhe, also ohne Anrechnung von einem eventuellen Einkommen, ausgezahlt.
Der Freibetrag
Bei der Einkommensanrechnung bei den Hinterbliebenenrenten sehen die gesetzlichen Vorschriften einen Freibetrag vor. Das heißt, dass ein Teil des Einkommens generell bei der Anrechnung unberücksichtigt bleibt. Der Betrag des Einkommens, welcher über dem Freibetrag liegt, wird dann für die Kürzung der Rentenzahlung herangezogen.
Bei den Witwen- und Witwerrenten und bei den Erziehungsrenten beträgt der Freibetrag das 26,4fache des aktuellen Rentenwerts. Bei den Waisenrenten lag der Freibetrag (bis 06/2015) beim 17,6fachen des aktuellen Rentenwerts. Eine Erhöhung erfährt der Freibetrag, wenn der Rentenberechtigte ein Kind hat, das einen Waisenrentenanspruch hat oder diesen Anspruch nur deshalb nicht hat, weil es sich um kein Kind des Verstorbenen handelt.
Dadurch, dass in der Berechnungsformel der Freibeträge der aktuelle Rentenwert herangezogen wird, wird gewährleistet, dass diese sich entsprechend der Lohn- und Gehaltsentwicklung erhöhen. Da sich die aktuellen Rentenwerte in den alten und neuen Bundesländern unterscheiden, sind die Freibeträge im Rechtskreis West und im Rechtskreis Ost – welche sich am Wohnsitz des Rentenberechtigten orientieren – unterschiedlich hoch.
Das Einkommen, welches berücksichtigt wird
Bei der Einkommensanrechnung bei den Hinterbliebenenrenten werden das Erwerbseinkommen, das Erwerbsersatzeinkommen, das Vermögenseinkommen und das Elterngeld berücksichtigt.
Unter Erwerbseinkommen werden das Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen und vergleichbares Einkommen subsumiert. Arbeitsentgelt erhält ein Arbeitnehmer aus einer Beschäftigung; hierunter fallen alle laufenden und einmaligen Einnahmen. Arbeitseinkommen ist der Gewinn, den ein selbstständig Tätiger erwirtschaftet und der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelt wird. Als „vergleichbares Einkommen“ gelten beispielsweise Entschädigungen von Abgeordneten.
Sollte eine Pflegeperson von einem Pflegebedürftigen ein Pflegegeld erhalten, ist dieses bei der Einkommensanrechnung nicht zu berücksichtigten, wenn die Höhe des gesetzlichen Pflegegeldes – wie es die Leistungsvorschriften der Sozialen Pflegeversicherung vorsehen – nicht überschritten wird.
Unter Erwerbsersatzeinkommen versteht man das Einkommen, welches zum Ersatz des Erwerbseinkommens geleistet wird. Man unterscheidet hier zwischen dem kurzfristigen und dem dauerhaften Erwerbsersatzeinkommen. Das Arbeitslosengeld, Krankengeld, Übergangsgeld, Verletztengeld, Krankentagegeld sind Beispiele für das kurzfristige Erwerbsersatzeinkommen. Die Renten der Gesetzlichen Rentenversicherung, welche wegen Alters oder verminderter Erwerbsfähigkeit erbracht werden, die Renten aus einer berufsständischen Versorgung (z. B. Apotheker, Notare, Rechtsanwälte), die Verletztenrente aus der Gesetzlichen Unfallversicherung und die Ruhegehälter (Beamtenpensionen) und vergleichbare Bezüge (z. B. von Richtern und Soldaten) zählen hingegen zum dauerhaften Erwerbsersatzeinkommen.
Von Bedeutung ist, dass das Erwerbsersatzeinkommen nur dann als Einkommen bei den Hinterbliebenenrenten berücksichtigt werden darf, wenn dieses aus einem eigenen Versicherungsverhältnis der/des Hinterbliebenen bezogen wird!
Das Vermögenseinkommen wird seit Januar 2002 bei der Einkommensanrechnung bei den Hinterbliebenenrenten berücksichtigt. Hierunter versteht man das Einkommen, welches aus dem Vermögen erzielt wird, beispielsweise Zinseinnahmen, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, Kapitaleinkünfte und Gewinne aus privaten Veräußerungsgeschäften.
Seit Januar 2007 wird auch das Elterngeld bei der Einkommensanrechnung berücksichtigt. Das Elterngeld hat im Jahr 2007 das Erziehungsgeld abgelöst und wird bei der Einkommensanrechnung herangezogen, obwohl es sich hier um eine steuerfreie Leistung handelt.
Berechnung der Einkommensanrechnung
Von dem Einkommen des Hinterbliebenen ist zunächst ein bestimmter Pauschalwert abzuziehen, welcher sich je nach Einkommensart unterscheidet. Durch diesen Pauschalabzug wird erreicht, dass bei der Einkommensanrechnung ein Netto-Einkommen errechnet wird. Die (prozentualen) Werte für den Pauschalabzug sind dabei so festgelegt, dass ein Netto-Einkommen errechnet wird, welches relativ dem tatsächlichen/realistischen Netto-Einkommen entspricht. Bei Arbeitsentgelt werden beispielsweise 40 Prozent und beim Arbeitseinkommen von selbstständig Tätigen 30,5 Prozent pauschal abgezogen.
Berechnungsbeispiel
Eine Witwe erhält eine Witwenrente in Höhe von 900,00 Euro monatlich. Daneben übt sie noch ein Beschäftigungsverhältnis aus, aus dem sie ein monatliches Arbeitsentgelt in Höhe von 2.200 Euro bezieht. Einmalzahlungen erhält sie nicht. Auch weitere Einkünfte sind nicht vorhanden.
Ihr Sohn hat einen Anspruch auf eine Halbwaisenrente.
Folge
Für die Zeit ab Juli 2024 beträgt der Freibetrag (26,4 x 39,32 Euro) 1.038,05 Euro. Hinzu kommt noch der Freibetrag aufgrund dessen, dass ein waisenrentenberechtigtes Kind vorhanden ist. Hierdurch erhöht sich der Freibetrag um (5,6 x 39,32 Euro) 220,19 Euro. Insgesamt hat die Witwe damit ab Juli 2024 einen Freibetrag von 1.258,24 Euro.
Vom Arbeitsentgelt werden pauschal 40 Prozent abgezogen. Damit wird bei der Einkommensanrechnung ein Netto-Arbeitsentgelt von (2.200 Euro abzgl. 40 Prozent) 1.320 Euro herangezogen. Der Freibetrag wird mit diesem (Netto-)Arbeitsentgelt um (1.320 Euro – 1.258,24 Euro) 61,76 Euro überschritten. Von diesem Betrag werden 40 Prozent berücksichtigt, dies entspricht einem Betrag von (61,76 Euro x 40 Prozent) 24,70 Euro.
Die Witwenrente von 900,00 Euro wird damit um einen Betrag von 24,70 Euro reduziert, sodass nur noch ein verminderter Rentenanspruch von (brutto) 875,30 Euro besteht.
Zeitpunkt
Wenn eine Hinterbliebenenrente erstmalig mit einem Einkommen zusammentrifft, wird als Einkommen das Einkommen des letzten Kalenderjahres herangezogen (wobei zur Ermittlung des Monatsbetrags das Jahreseinkommen durch 12 dividiert wird). Zugleich wird das laufende Einkommen berücksichtigt. Ist das laufende Einkommen um mindestens zehn Prozent geringer als das Einkommen des Vorjahres, wird das laufende Einkommen für die Einkommensanrechnung herangezogen. Ansonsten ist das Einkommen des Vorjahres maßgebend.
Ändert sind ein laufendes Einkommen, ist zu prüfen, ab wann die Änderung bei der Einkommensanrechnung umgesetzt wird. Grundsätzlich wird die Änderung zum nächsten 01. Juli – also zu dem Zeitpunkt, zu dem die Renten dynamisiert und damit auch die Freibeträge geändert werden – berücksichtigt. Sollte allerdings das Einkommen um mindestens zehn Prozent als das bisher berücksichtigte geringer sein, wird dieses vom Zeitpunkt der tatsächlichen Minderung berücksichtigt.
In dem Fall, dass das Einkommen vollständig wegfällt, wird die Rente sofort in voller Höhe ausgezahlt. Ab diesem Zeitpunkt kommen durch den Wegfall des Einkommens die Vorschriften über die Einkommensanrechnung nämlich komplett nicht mehr zum Tragen.
Ansprüche auf mehrere Renten
Sollte ein Hinterbliebener einen Anspruch auf mehrere Hinterbliebenenrenten haben, regeln die gesetzlichen Vorschriften, auf welche zuerst das Einkommen angerechnet wird. Danach (§97 Abs. 3 SGB VI) ist ein Einkommen im ersten Schritt auf die Waisenrente, dann auf die Witwen- bzw. Witwerrente und im letzten Schritt auf die Witwen- bzw. Witwerrente nach dem vorletzten Ehegatten anzurechnen. Sollten mehrere Hinterbliebenenrenten bezogen werden, kann der Freibetrag insgesamt nur einmal angesetzt werden. Es darf der Freibetrag also nicht für jede Hinterbliebenenrente neu berücksichtigt werden.
Besteht sowohl aus der Gesetzlichen Unfallversicherung als auch aus der Gesetzlichen Rentenversicherung ein Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente, ist das Einkommen zunächst auf die Rente der Unfallversicherung anzurechnen. Sollte es aufgrund der Höhe der Einkommensanrechnung zu keiner Zahlung der Rente aus der Unfallversicherung kommen, ist ein evtl. verbleibendes Einkommen bei der Hinterbliebenenrente der Rentenversicherung anzurechnen. Ein Freibetrag wird in diesem Fall dann nicht mehr berücksichtigt.
Übergangsregelungen
Da die Einkommensanrechnung bei den Hinterbliebenenrenten ab dem Jahr 1986 eingeführt wurde, wurden auch Übergangsregelungen geschaffen, um für bestimmte Personenkreise die negativen Folgen abzumildern. Von diesen Übergangsvorschriften sind ausschließlich die Witwenrente und Witwerrenten und die Witwenrenten und Witwerrenten nach dem vorletzten Ehegatten und die Waisenrenten betroffen.
Haben die Ehegatten bis zum 31.12.1988 eine wirksame Erklärung darüber abgegeben, dass das bis Dezember 1985 geltende Rentenrecht weiterhin angewandt werden soll oder ist der Versicherte vor dem 01.01.1986 verstorben, erfolgt keine Einkommensanrechnung bei der Hinterbliebenenrente. Lesen Sie hierzu auch: Witwerrente nach dem bis 31.12.1985 geltenden Recht. Dies gilt auch für die Witwen- und Witwerrenten an vor dem 01.07.1977 geschiedene Ehegatten, wenn eine entsprechende Erklärung unterschrieben wurde.
Bei den Witwen-/Witwerrenten nach dem vorletzten Ehegatten kommt es ebenfalls zu keiner Einkommensanrechnung, wenn der Versicherte vor dem 01.01.1986 verstorben ist und eine neu eingegangene Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt wurde.
Beratung durch Rentenberater
In allen rentenrechtlichen Angelegenheiten beraten registrierte Rentenberater. So stehen die Rentenberater auch für alle Fragen, welche sich mit der Anrechnung von Einkommen auf die Hinterbliebenenrenten ergeben, kompetent zur Verfügung.
Kontaktieren Sie mit Ihren Fragen die Rentenberatung Helmut Göpfert!