Alkoholkonsum schließt nicht immer einen Arbeitsunfall aus

Beschäftigte sind während ihrer Arbeit gesetzlich unfallversichert. Ereignet sich hier ein Unfall, handelt es sich grundsätzlich um einen gesetzlichen Arbeitsunfall, für deren Folgen die Gesetzliche Unfallversicherung Leistungen erbringt. Gleiches gilt für den Weg zur und von der Arbeit. Erleidet auf diesen Wegen ein Beschäftigter einen Unfall, handelt es sich um einen sogenannten Wegeunfall. Auch für diese Folgen erbringt der gesetzliche Unfallversicherungsträger Leistungen.

Eine besondere Beurteilung muss ein Unfall erfahren, der sich nach einem Alkoholgenuss ereignet. Hier hatte sich die Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit bereits mehrfach geäußert. So urteilte das Bundessozialgericht bereits am 05.07.1994 (Az. 2 RU 34/ 93; USK 9470), dass im Rahmen der Beurteilung des gesetzlichen Unfallversicherungsschutzes betriebliche Gründe in den Hintergrund treten, wenn für den Eintritt eines Unfalles während der Arbeitszeit eine alkoholbedingte Minderung des Leistungsvermögens alleinige Ursache ist. Ereignen sich Unfälle während der Arbeitszeit wegen einer alkoholbedingten Minderung des Leistungsvermögens, handelt es sich um keine gesetzlichen Arbeitsunfälle im Sinne des Siebten Buches Sozialgesetzbuch – SGB VII – (früher: Reichsversicherungsordnung, kurz: RVO).

Hinsichtlich des gesetzlichen Unfallversicherungsschutzes auf den Arbeitswegen hatte sich das Bundessozialgericht mit Urteil vom 06.04.1989 (USK 8985) geäußert. Hier entscheid das höchste Sozialgericht Deutschlands, dass auf den Wegen zu oder von der Arbeitsstätte kein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz besteht, wenn die alleinige Ursache für einen Unfall eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit ist. Um den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz jedoch auszuschließen, muss die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit als alleinige Ursache jedoch mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden.

Tödlicher Wegeunfall eines Beschäftigten

Das Sozialgericht Gießen musste am 16.10.2009 über einen Fall entscheiden, in dem ein Beschäftigter auf seinem Nachhauseweg einen tödlichen Verkehrsunfall erlitten hat. Als die Hinterbliebenen eine Hinterbliebenenrente beantragten, wurde diese abgelehnt. So erhielt die Witwe des Verstorbenen keine Witwenrente und die Kinder keine Halbwaisenrente vom Unfallversicherungsträger gewährt.

Der Mann war mit seinem zehn Jahre alten BMW auf dem Weg nach Hause unterwegs. Während eines Überholvorgangs, im Rahmen dessen er gleich mehrere Fahrzeuge überholte, brach er abrupt ab, sodass die Räder – auch weil das alte Fahrzeug mit keinem Elektronischen Stabilitätsprogramm (ESP) ausgestattet war – blockierten. Mit einem entgegenkommenden Fahrzeug erfolgte schließlich auf dessen Fahrspur eine Kollision. Die Unfallstelle lag 200 Meter vor einer Fahrbahnverengung, bei der die Fahrbahn von zwei Fahrstreifen auf einen Fahrstreifen verengt wird. Beim Unfallgeschehen hatte der Verunglückte, wie ein Sachverständiger errechnete, eine Geschwindigkeit zwischen 108 und 126 km/h.

Die zuständige Berufsgenossenschaft, die die beantragten Rentenleistungen ablehnte, vertrat die Auffassung, dass der Unfall nicht der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sei. Vielmehr hatte der Unfall, so die Ausführungen der Berufsgenossenschaft, im Alkoholgenuss des Verunglückten ihre Ursache, sodass kein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz gegeben ist.

Keine alkoholtypischen Ausfallerscheinungen

Mit Urteil vom 16.10.2009 sprachen die Richter des Sozialgerichts Gießen unter dem Aktenzeichen S 1 U 85/08 ein Urteil, mit dem die zuständige Berufsgenossenschaft verklagt wurde, die aufgrund des Verkehrsunfalls beantragten Hinterbliebenenrenten zu gewähren.

Bei einer Blutalkoholkonzentration von unter 1,1 Promille liegt eine relative Fahruntüchtigkeit vor. Das bedeutet, dass der Unfallversicherungsträger nachzuweisen hat, dass der Unfall auf alkoholtypische Ausfallerscheinungen zurückzuführen ist. Als alkoholtypische Ausfallerscheinungen ist beispielsweise das Missachten von Verkehrszeichen, das Fahren in Schlangenlinien und eine überhöhte Geschwindigkeit anzusehen. Dem Alkoholgenuss des Verunglückten ist an dem Unfallgeschehen jedoch nicht die überragende Bedeutung beizumessen, dass der Unfall nicht als gesetzlicher Arbeits-/Wegeunfall anerkannt werden kann, so die Richter des Sozialgerichts. Allein die Tatsache, dass der Verunglückte zu schnell gefahren ist, reicht hierfür nicht aus. Schließlich überschreiten auch nüchterne Fahrer die zulässige Höchstgeschwindigkeit um bis zu 20 km/h. Ebenfalls kommen für die plötzliche Blockierbremsung andere Ursachen als der Alkoholgenuss in Betracht, beispielsweise ein mögliches Verschätzen der Überholmöglichkeit oder die Fahrbahnverengung von zwei auf einen Fahrstreifen.

Da der Verunglückte laut Aussagen von Zeugen, die das Gericht vernommen hatte, etwa zehn bis fünfzehn Minuten vor dem Unfallgeschehen keinerlei Auffälligkeiten zeigte, kann nach Auffassung der Richter keinesfalls davon ausgegangen werden, dass der Unfall den Alkoholgenuss als einzige oder überragende Ursache hatte. Damit muss ein Unfall im Sinne der Gesetzlichen Unfallversicherung bejaht werden mit der Konsequenz, dass auch den Hinterbliebenen die beantragten Renten (Witwen- und Waisenrenten) gewährt werden.

Keine Unterbindung durch Arbeitgeber

In einem anderen Klagefall hatte sich das Hessische Landessozialgericht zur Fürsorgepflicht des Arbeitgebers geäußert und entschieden, dass nicht deshalb der Unfallversicherungsschutz aufrecht erhalten bleibt, wenn der Arbeitgeber den Alkoholkonsum nicht unterbindet. Das Hessische Landessozialgericht hatte über den Klagefall mit Urteil vom 13.05.2011 (Aktenzeichen: L 9 U 154/09) entschieden.

Dem Urteil war eine Klage bzw. Berufung vorausgegangen, mit die Angehörigen eines Verstorbenen eine vom Unfallversicherungsträger abgelehnte Hinterbliebenenrente geltend machen wollten. Ein 30jähriger Arbeitnehmer, der zugleich Vater von zwei Kindern ist, verunglückte im September 2007 nach einer Heimfahrt von seiner Arbeitsstelle tödlich. Eineinhalb Stunden nach dem Ende der Spätschicht wurde der Verunglückte in einem Straßengraben tot aufgefunden. Die spätere Blutprobe bestätigte eine Blutalkoholkonzentration von 2,2 Promille. Dies nahm die zuständige Berufsgenossenschaft zum Anlass, die beantragte Hinterbliebenenrente abzulehnen. Dazu führte der Unfallversicherungsträger aus, bei dem Verunglückten läge eine absolute Fahruntüchtigkeit vor, die allein die wesentliche Ursache für den tödlichen Verkehrsunfall war.

Die klagende Witwe wollte die Hinterbliebenenrente durchsetzen, da der Arbeitgeber den Alkoholkonsum toleriert hatte bzw. dass in dem Betrieb üblicherweise während der Arbeit Alkohol konsumiert wurde. Die Vorgesetzten hätten nicht nur mitgetrunken, sondern die alkoholischen Getränke sogar selbst mitgebracht.

Fürsorgepflicht nicht verletzt

Sowohl das zuständige Sozialgericht (Sozialgericht Marburg) als auch das Hessische Landessozialgericht entschieden, dass der Arbeitgeber seine Fürsorgepflicht nicht verletzt hat, weshalb auch kein Unfallversicherungsschutz für die Heimfahrt hergeleitet werden kann. Auch in dem Urteil des Landessozialgerichts (Urteil vom 13.05.2011, Az. L 9 U 154/09) führten die Richter aus, dass eine absolute Fahruntüchtigkeit bereits ab 1,1 Promille vorliegt. Die Blutalkoholkonzentration von 2,2 Promille des Verstorbenen war die einzige Ursache, da keine anderen Anhaltspunkte, wie beispielsweise schlechte Straßenverhältnisse, Fahrzeugmängel, Verschulden Dritter, vorliegen. Dabei stellten die Richter fest, dass ein Alkoholmissbrauch eine eigenverantwortliche Schädigung darstellt. Der Arbeitgeber hat mit dem ausgesprochenen Alkoholverbot, dem Bereitstellen von alkoholfreien Getränken und einer entsprechenden Betriebsvereinbarung die für die Fürsorgepflicht gebotenen Schutzmaßnahmen ergriffen. Wenn der Arbeitgeber es unterlässt, den Alkoholkonsum während der Arbeitszeit zu unterbinden, kann diesen nur eine untergeordnete Mitverursachung zugesprochen werden. Daher gab das Hessische Landessozialgericht der beklagten Berufsgenossenschaft Recht, dass kein gesetzlicher Arbeits- bzw. Wegeunfall bei dem Verstorbenen vorgelegen hat und damit auch kein Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente der Gesetzlichen Rentenversicherung für die Hinterbliebenen besteht.

In dem Urteil beantworteten die Richter – da es keine konkreten Anhaltspunkte gibt – nicht die Frage, wie sich ein Unfall eines Arbeitnehmers auf den Unfallversicherungsschutz auswirkt, wenn dem Arbeitgeber eine Alkoholabhängigkeit des Beschäftigten bekannt ist.

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