Weg zur Essensaufnahme in Arbeitspause ist unfallversichert
Ein Weg zur Essensaufnahme während einer Arbeitspause steht unter dem gesetzlichen Unfallversicherungsschutz, da die Essensaufnahme der Erhaltung der Arbeitskraft dient. Eine Berufsgenossenschaft kann einen Unfall nicht als Arbeitsunfall ablehnen, wenn im Vergleich zur Fahrzeit nur wenige Minuten für die Nahrungsaufnahme Zeit bleiben. Dies entschied das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz in einem Urteil vom 10.08.2009 (Az. L 2 U 105/09).
Klagegegenstand
Ein Beschäftigter erlitt im April 2005 einen Unfall, als er während der Mittagspause zur Wohnung seiner Freundin fuhr, um dort zu Mittag zu essen. Die Fahrstrecke zur Freundin war so lange, so dass ihm während seiner halbstündigen Mittagspause nur wenige Minuten für die Essensaufnahme zur Verfügung standen.
Gegenüber der Berufsgenossenschaft begründete er seine Fahrt zur Freundin damit, dass er trotz der knappen Zeit die Wegstrecke auf sich nahm, da es ihm wichtig war, die Mittagspause mit ihr zu verbringen. Die Berufsgenossenschaft lehnte daraufhin den Unfall, den er mit seinem Motorrad erlitten hatte, als Arbeitsunfall ab.
Landessozialgericht erkannte Arbeitsunfall an
Wie bereits das Sozialgericht Koblenz revidierte das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz die Entscheidung der Berufsgenossenschaft. Mit Urteil vom 10.08.2009 (Az. L 2 U 105/09) gaben die Richter dem Verletzten Recht und erkannten den Unfall als Arbeitsunfall an.
In der Urteilsbegründung führten die Richter aus, dass ein Arbeitsunfall selbst in diesem Fall nicht deshalb ausgeschlossen werden kann, wenn im Vordergrund der Fahrt die Motivation zum Besuch der Freundin gestanden habe. Der Verletzte habe seine Freundin unter anderem deshalb aufgesucht, um dort sein Mittagessen einzunehmen. Der Weg zur Freundin war auch nicht so weit, damit die Essensaufnahme wegen der Fahrzeit als unwesentliche Mitursache angesehen werden kann. Es existiert keine zeitliche Obergrenze, ab der ein Weg zum Mittagessen nicht mehr gesetzlich unfallversichert ist. Zudem merkten die Richter des Landessozialgerichts an, dass es den verbreiteten Gepflogenheiten und der Lebenswirklichkeit entspricht, wenn das Mittagessen in angenehmer und selbst gewählter Gesellschaft eingenommen wird.
Erst wenn der Zweck der Nahrungsaufnahme in den Hintergrund tritt, weshalb ein Weg in der Arbeitspause zurückgelegt wird, ist der gesetzliche Unfallversicherungsschutz ausgeschlossen. Dies war bei dem Kläger jedoch nicht der Fall, weshalb die Klage Erfolg hatte.
Motivation zur Nahrungsaufnahme
Für den Unfallversicherungsschutz muss ein Beschäftigter mit der Motivation zur Nahrungsaufnahme unterwegs sein. Ist dies nicht der Fall, ist kein Unfallversicherungsschutz gegeben. Dies entschied in einem anderen Klage- bzw. Berufungsfall das Hessische Landessozialgericht mit Urteil vom 24.03.2015, Az. L 3 U 225/19.
In dem vom Hessischen Landessozialgericht zu beurteilenden Fall stürzte eine Beschäftigte in der Mittagspause, als sie sich an der Hauptwache in Frankfurt/Main auf einer Treppe zur sogenannten B-Ebene befunden hatte. Beim Unfall zog sie sich eine Halsmarkquetschung zu.
Die zuständige Berufsgenossenschaft lehnte das Vorliegen eines Unfallversicherungsschutzes ab. Sie begründete dies damit, dass sich die Klägerin auf dem Weg zu einer Reinigung befunden hatte und der Unfallversicherungsschutz aufgrund der Unterbrechung zur Erledigung privater Angelegenheiten nicht mehr bestand. Hier stand nach Zeugenvernehmung die private Tätigkeit im Vordergrund und nicht der Weg zur Nahrungsaufnahme in einem Fastfood-Restaurant, welches sich in der Nähe der Reinigung befindet. Die Beweislast muss die Klägerin tragen.
Unfall bei Home-Office
Anders zu beurteilen sind Unfälle, welche sich auf dem Weg zur Küche bei einem Home-Office-Arbeitsplatz ergeben. Diese Wege unterliegen nach einem Urteil des Bundessozialgerichts vom 05.07.2016, Az. B 2 U 2/15 R nicht dem gesetzlichen Unfallversicherungsschutz.
In dem vom Bundessozialgericht am 05.07.2016 entschiedenen Fall war die Klägerin im Dachgeschoss ihrer Wohnung tätig und hatte einen Telearbeitsplatz inne. Aufgrund einer Asthma-Erkrankung musste sie viel trinken, weshalb sie sich auf den Weg in die Küche, welche sich ein Stockwerk tiefer befindet, begab. Auf diesem Weg rutschte die Klägerin aus und brach sich den Fuß.
Eigenwirtschaftliche Tätigkeit
Der 2. Senat des Bundessozialgerichts ordnete den Weg vom Telearbeitsplatz zur Küche dem persönlichen Lebensbereich zu. Das Zurücklegen des Weges war erforderlich, um Wasser zum Trinken zu holen. Dabei handelt es sich um eine nicht versicherte Tätigkeit.
In dem Urteil merkten die Richter zwar an, dass mit einem Home-Office-Arbeitsplatz die Arbeit in den häuslichen Bereich verlagert wird. Allerdings hat die Wohnung einen privaten Charakter und gehört damit nicht zur versicherten Lebenssphäre. Dies gilt auch dann, wenn der häusliche Bereich für eine den betrieblichen Interessen dienende Arbeit zu Hause genutzt wird.
Bekräftigt wird die Entscheidung des Bundessozialgerichts auch dadurch, dass die Risiken der Privatwohnung der Versicherte selbst und nicht der Arbeitgeber zu verantworten hat. Ebenfalls haben die Träger der Gesetzlichen Unfallversicherung kaum eine Möglichkeit, präventive und gefahrenreduzierende Maßnahmen außerhalb der regulären Arbeitsstätte zu ergreifen. Damit ist es sachgerecht, wenn das vom häuslichen Lebensbereich ausgehende Unfallrisiko nicht der Gesetzlichen Unfallversicherung zugerechnet wird.
Spaziergang in Mittagspause ohne Versicherungsschutz
Das Hessische Landessozialgericht hatte sich mit Urteil vom 14.06.2019, Az. L 9 U 208/17 mit der Frage beschäftigen müssen, ob ein Spaziergang in der Mittagspause gesetzlich unfallversichert ist. Zu dem Urteil kam es, weil ein Versicherter, der als Fondmanager bei einer Investmentgesellschaft tätig ist, klagte. Er verließ am Unfalltag das Firmengebäude, um in der Mittagspause spazieren zu gehen. Beim Spaziergang stolperte er über eine Steinplatte und zog sich daher an den Handgelenken und am Knie Verletzungen zu.
Die zuständige Berufsgenossenschaft kam bei der Prüfung, ob ein Arbeitsunfall vorliegt oder nicht, zu dem Ergebnis, dass die Mittagspause ein eigenwirtschaftliches Gepräge gehabt hat. Der Fondmanager argumentierte jedoch, dass die Pause aufgrund der Arbeitsbelastung erforderlich gewesen sein, um danach die Arbeit fortsetzen zu können.
Sowohl das Sozialgericht Darmstadt als auch das Hessische Landessozialgericht bestätigten das Ergebnis der Berufsgenossenschaft und verneinten das Vorliegen eines Arbeitsunfalls. Die Mittagspause war für den Fondsmanager eine eigenwirtschaftliche Verrichtung. Das Spazierengehen ist keine Haupt- oder Nebenpflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis. Besondere betriebliche Belastungen lagen bei dem Fondsmanager ebenfalls nicht vor, durch die im Ausnahmefall ein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz für Spaziergänge begründet werden könnte.
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