Volle Erwerbsminderungsrente unter Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage

Neben den drei „klassischen“ Erwerbsminderungsrenten (Rente wegen voller Erwerbsminderung, Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit) kennt das gesetzliche Rentenrecht die „Arbeitsmarktrente“.

Die Arbeitsmarktrente ist eine volle Erwerbsminderungsrente. Diese wird geleistet, wenn die Erwerbsminderung des Versicherten grundsätzlich nur teilweise eingeschränkt ist, jedoch unter Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage keine Teilzeitbeschäftigung mehr möglich ist.

Grundsätzliches zur Arbeitsmarktrente

Die Renten wegen Erwerbsminderung haben eine Entgeltersatzfunktion. Das heißt, dass durch die Rentenleistung das Einkommen ersetzt werden soll, welches aufgrund einer Erwerbsminderung durch eine eigene Arbeitsleistung nicht mehr erzielt werden kann. Ist die Erwerbsminderung nur teilweise eingeschränkt, wird grundsätzlich unterstellt, dass der Versicherte seine Arbeitskraft dem Arbeitsmarkt noch teilweise zur Verfügung stellen kann. Teilweise ist die Erwerbsfähigkeit eingeschränkt, wenn das Leistungsvermögen auf unter sechs Stunden täglich gesunken ist, jedoch noch mindestens drei Stunden täglich beträgt. Dabei werden die üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zugrunde gelegt. Das heißt, der Rentenversicherungsträger muss bei der Beurteilung, ob eine Erwerbsminderung vorliegt, die Lage am Arbeitsmarkt betrachten. In diesem Fall spricht man von der abstrakten Betrachtungsweise des Arbeitsmarktes.

Die gesetzlichen Vorschriften beschreiben, dass die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist, wenn das Leistungsvermögen noch mehr als sechs Stunden täglich beträgt. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Arbeitsmarktlage nicht unbeachtet gelassen werden darf, wenn das Leistungsvermögen weniger als sechs Stunden beträgt.

Kann eine teilweise Erwerbsminderung bestätigt werden, muss geprüft werden, ob der Versicherte noch die Möglichkeit hat, einen geeigneten Teilzeitarbeitsplatz zu bekommen. Ist dies nicht der Fall, wird mit der Arbeitsmarktrente eine volle Erwerbsminderungsrente geleistet, obwohl die Erwerbsfähigkeit nur teilweise eingeschränkt ist. Damit regelt der Gesetzgeber, dass seitens der Gesetzlichen Rentenversicherung teilweise das Risiko der Arbeitslosigkeit getragen wird. Für dieses Risiko bzw. die daraus resultierenden Mehrausgaben leistet die Bundesanstalt für Arbeit jedoch einen Ausgleichsbetrag (vgl. § 224 SGB VI).

Verschlossener Arbeitsmarkt

Die Arbeitsmarktrente wird geleistet, wenn das Restleistungsvermögen des Versicherten auf unter sechs Stunden täglich gesunken ist, jedoch noch mindestens drei Stunden täglich beträgt und der Arbeitsmarkt als „verschlossen“ gilt. Als verschlossen gilt der Arbeitsmarkt dann, wenn seitens des Rentenversicherungsträgers oder der Arbeitsverwaltung dem Versicherten innerhalb eines Jahres kein passender Teilzeitarbeitsplatz angeboten werden kann. Aufgrund der nach wie vor ungünstigen Arbeitsmarktlage gilt der Arbeitsmarkt ohne weitere Ermittlungen als verschlossen. Für den Fall, dass der Versicherte ohne Beschäftigung ist, wird die teilweise Erwerbsminderungsrente damit in eine (volle) Arbeitsmarktrente umgewandelt. In diesem Zusammenhang ist es nicht maßgebend, ob überhaupt ein Anspruch auf ein Arbeitslosengeld (Arbeitslosengeld I oder Arbeitslosengeld II) besteht bzw. der Versicherte im Sinne des Rechts der Arbeitsförderung (Drittes Buch Sozialgesetzbuch, kurz: SGB III) arbeitslos ist.

Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses

Die o. g. Ausführungen gelten grundsätzlich nur, wenn der Versicherte in keinem Beschäftigungsverhältnis steht. Hat der Versicherte ein Beschäftigungsverhältnis inne, muss eine gesonderte Prüfung erfolgen. In diesem Fall muss eruiert werden, ob das Beschäftigungsverhältnis derart umgestaltet werden kann, dass mit dem bestehenden Restleistungsvermögen noch ein Arbeitsentgelt erzielt werden kann. Dies muss vor allem im Hinblick auf die gesetzlichen Möglichkeiten erfolgen, die das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) und das Neunte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) bieten.

§ 8 TzBfG räumt Beschäftigten, die bei einem öffentlichen oder privaten Arbeitgeber bereits länger als sechs Monate beschäftigt sind, einen Rechtsanspruch ein, die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit zu reduzieren. Der Anspruch besteht gegenüber dem Arbeitgeber, wenn dieser in der Regel mehr als 15 Beschäftigte hat. Auszubildende werden bei dieser Zahl nicht berücksichtigt. Allerdings darf der Arbeitgeber betriebliche Gründe geltend machen, die gegen eine Arbeitszeitreduzierung sprechen. Auch finanzielle Gründe, also wenn dem Arbeitgeber verhältnismäßig hohe Kosten durch eine Arbeitszeitreduzierung entstehen, können den Rechtsanspruch ausschließen.

Neben dem Teilzeit- und Befristungsgesetz müssen auch die Möglichkeiten des Neunten Buches Sozialgesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – geprüft werden. Hier regelt § 81 Abs. 5 Satz 2 SGB IX, dass schwerbehinderte Menschen auf eine Teilzeitbeschäftigung einen privilegierten Anspruch haben, wenn aufgrund der Art oder Schwere der Behinderung eine kürzere Arbeitszeit erforderlich wird. In diesem Fall muss der Arbeitgeber, anders als dies die Regelungen des TzBfG vorsehen, keine 15 Beschäftigte haben. Auch muss das Beschäftigungsverhältnis nicht mindestens sechs Monate bestanden haben. Allerdings hat der Arbeitgeber auch hier die Möglichkeit, eine Teilzeitbeschäftigung zu verweigern, wenn unverhältnismäßig hohe Aufwendungen durch die Einrichtung eines Teilzeitarbeitsplatzes entstehen würden.

Vollzeit-Beschäftigungsverhältnis

Kann, sofern der Versicherte, dessen Erwerbsfähigkeit teilweise eingeschränkt ist, gegebenenfalls unter Berücksichtigung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes bzw. des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, einen Teilzeitarbeitsplatz erhalten, besteht kein Anspruch auf die Arbeitsmarktrente. Der Arbeitsmarkt gilt für diese Versicherten nämlich dann nicht als verschlossen, da ein Zugang zu einem Arbeitsplatz besteht, der dem Leistungsvermögen entspricht.

Teilzeit-Beschäftigungsverhältnis

Eine Arbeitsmarktrente kommt auch dann nicht in Betracht, wenn der Versicherte bereits ein Teilzeit-Beschäftigungsverhältnis inne hat. Auch hier gilt der Arbeitsmarkt nicht als verschlossen, da entsprechend des Restleistungsvermögens das halbe Erwerbseinkommen erzielt wird.

Ausschluss Arbeitsmarktrente bei Beschäftigung/selbstständiger Tätigkeit

Der Anspruch auf die Arbeitsmarktrente ist dann ausgeschlossen, wenn der Versicherte eine Beschäftigung von mindestens drei Stunden täglich ausübt bzw. diese während des Rentenbezugs ausübt. Sinn und Zweck der (vollen) Arbeitsmarktrente ist, dass das Entgelt ersetzt wird, welches durch die Erwerbsminderung ausfällt. Die arbeitsmarktbedingte Zahlung ist dann nicht mehr möglich, wenn tatsächlich ein Einkommen durch eine Beschäftigung erzielt wird. Wird hingegen eine Beschäftigung von weniger als drei Stunden täglich ausgeübt, ist dies für die Leistung einer Arbeitsmarktrente unschädlich. Allerdings kann der zur Arbeitsmarktrente erzielte Hinzuverdienst zu einer Rentenkürzung oder im Extremfall zum kompletten Entfall der Rentenzahlung führen.

Da bei Selbstständigen die Beurteilung der Erwerbsminderung nach den gleichen Grundsätzen wie bei Beschäftigten erfolgt, ist der Anspruch auf eine Arbeitsmarktrente auch dann ausgeschlossen, wenn eine selbstständige Tätigkeit von mehr als drei Stunden täglich ausgeübt wird. Beschäftigte und Selbstständige werden hier identisch beurteilt.

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